Worauf man bei Tarifverträgen achten sollte

Es kann ungemütlich werden, wenn mal wieder gestreikt wird und beispielsweise Bus und Bahn still stehen. Grund sind meist Tarifverhandlungen und Streiks als eine Methode, um in festgefahrenen Verhandlungen den Druck zu erhöhen. Mehr als 50.000 Tarifverträge existieren laut Ver.di in Deutschland, dahinter verbergen sich 12,6 Millionen Arbeitnehmer:innen aus allen Branchen. Aber inwiefern profitieren diese und was genau regeln Tarifverträge? Wie kommen sie zustande, wer schließt sie, und warum gibt es sie? Was ist hierbei typisch für die Lebensmittelindustrie?

Verhandelt wird im Tarifrecht zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Grundlage dafür ist im Grundgesetz der Artikel 9, der die Gründung von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften regelt. Diese beiden Parteien schließen Tarifverträge ab. Also Verträge, die für ihre Mitglieder, das Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie sowie den Mitgliedern einer Gewerkschaft im besten Fall bindend sind. Diese Verträge enthalten Rechtsnormen, die unmittelbar zwischen den Parteien gelten. Das macht das Leben für Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber im Einzelfall also einfacher, denn auf einer anderen Ebene (auf Verbandsebene) wurden Normen geschaffen, die für alle anderen Mitglieder dieses Industriezweiges auch gelten. Man kann so also eine Auseinandersetzung von der betrieblichen Ebene auf die überbetriebliche Ebene verlagern und muss im Betrieb keinen Streit ausfechten.

Was in Tarifverträgen geregelt wird

Typische Regelungsinhalte von Tarifverträgen sind: Urlaub, wöchentliche Arbeitszeit, Altersversorgung, Überstundenvergütung, Altersfreizeit und vieles mehr. Und natürlich ist da die jährliche Tarifverhandlung zum Thema Entgelt. Da gibt es eingespielte Rituale, an deren Ende (mit oder ohne Arbeitskampf) eine Prozentzahl steht, mit der das Entgelt der Beschäftigten im Geltungsbereich erhöht wird. Insofern sind Tarifverträge im Grundsatz eine prima Sache, die aber im Einzelfall die Arbeitskosten für die Arbeitgeber erhöhen, weil dort in der Regel Dinge vereinbart werden, die über das hinausgehen, was im Gesetz steht. Paradebeispiel ist der Urlaub: Der Mindestanspruch beträgt laut Gesetz 24 Tage, mit Hilfe von Tarifverhandlungen wurden jedoch meist 30 Tage durchgesetzt.

Schutzfunktion eines Tarifvertrages

Was durch Tarifvertrag geregelt ist, kann nicht durch eine Betriebsvereinbarung geregelt werden. In der Vergangenheit hatte beispielsweise ein (tarifgebundenes) Unternehmen der Milchindustrie mit dem Betriebsrat eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 42 Std. vereinbart. Vereinbart waren im Tarifvertrag jedoch 39 Stunden. Gegen diese Vereinbarung ist die Gewerkschaft Sturm gelaufen und der Betrieb ruderte zurück. Die Regelungen aus dem Tarifvertrag behielten ihre Geltung. Die Betriebsvereinbarung wird mit einer Ausnahme der Regelung im Tarifvertrag vorgezogen: Wenn sich die Situation für die Arbeitnehmer:innen verbessert, dann kommt das so genannte Günstigkeitsprinzip für die Arbeitnehmer:innen zum Tragen.

Verteilungs- und Friedensfunktion eines Tarifvertrages

Tarifverträge sind ein gewichtiges und sehr gut geeignetes Instrument, um für eine Vielzahl von Unternehmen und für eine Vielzahl von Arbeitnehmer:innen gleichlautende und klare Regeln zu schaffen. Das kann zu Wettbewerbsgleichheit führen. Auch, wenn es Arbeit in der Regel teurer macht. Es schafft Rechtssicherheit und Klarheit, bedeutet aber auf der anderen Seite, dass jeder Arbeitgeber sich darüber bewusst sein und entsprechend seine Abgesandten in die Tarifkommissionen mit einem abgestimmten Mandat schicken sollte.

Die Friedensfunktion eines Tarifvertrages untersagt es den Tarifparteien, während der Dauer und bezüglich der Inhalte des geschlossenen Vertrages, Arbeitskämpfe zu führen.

Gleichstellung von Gewerkschaftsmitgliedern und Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern

Gelten die Tarifverträge eigentlich auch für Mitarbeitende, die nicht in der jeweiligen Gewerkschaft sind? Rechtlich haben Nicht-Gewerkschaftsmitglieder keinen Anspruch auf die Vereinbarungen aus dem Tarifvertrag. In der Praxis werden die Vereinbarungen und Regelungen des Tarifvertrages aber auf alle Mitarbeitenden angewendet. Unternehmen wollen so verhindern, dass weitere Mitarbeitende in die Gewerkschaft eintreten. Und sie wissen in der Regel auch gar nicht, welche Mitarbeitenden in der Gewerkschaft sind und welche nicht. Besteht eine tarifliche Bindung des Arbeitgebers, wird er alle Mitarbeitenden gleich behandeln. Dies ist dann in der Regel im Arbeitsvertrag als Gleichstellungsabrede, in Form einer Klausel, festgelegt, womit der Arbeitgeber sich verpflichtet, dass gegenüber diesen Arbeitnehmer:innen der Tarifvertrag und alle darauf folgenden Tarifvereinbarungen gelten.

Tarifflucht

Anders verhält es sich bei Arbeitgeberverbänden, die eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung anbieten. In einem solchen Fall sprechen die Gewerkschaften von Tarifflucht, denn dann sind die Regelungen eines Tarifvertrages für das jeweilige Mitgliedsunternehmen nicht mehr bindend!

So beispielsweise im Lebensmitteleinzelhandel, wo Unternehmen größerer Handelsketten Mitgliedschaften im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung abgeschlossen haben und mit einem Haustarifvertrag versuchen, mehr Einfluss auf ihre Lohnkosten zu gewinnen.

Da die Realität insbesondere großer Unternehmen sehr komplex ist, existieren unterschiedliche Arten von Tarifverträgen. Hier lohnt es sich, als Arbeitnehmer:in vor Antritt einer neuen Stelle, oder im Zuge von anstehenden Tarifverhandlungen, einmal genauer hinzusehen, welche Relevanz die diskutierten Tarifverträge für ihn persönlich besitzen.

Wo kann ich meinen Tarifvertrag einsehen?

Es gibt unzählige Tarifverträge in der Lebensmittelindustrie, sowohl nach Branchen (Bäcker, Milch, Fleisch, u.a.) wie auch nach Inhalten (Manteltarifvertrag, Entgelttarifvertrag). Viele der einschlägigen Tarifverträge finden Sie im Internet beispielsweise im Tarifregister Nordrhein-Westfalen oder bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. In jedem Fall erhalten Sie den für Sie geltenden Tarifvertrag bei Ihrer Personalabteilung oder bei Ihrem Betriebsrat in Ihrem Unternehmen.

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ÜBER THOMAS SCHULZ

Der Autor ist freiberuflicher Rechtsanwalt mit arbeitsrechtlichem Schwerpunkt. Darüber hinaus war er Human Resources Interim Manager sowie Dozent für Sozial- und Arbeitsrecht bei der IHK Allgäu/Schwaben und Köln und war 13 Jahre als Personalmanager tätig – davon 10 Jahre in der Bayerischen Milchindustrie. Seit Mai 2015 ist Thomas Schulz geschäftsführender Gesellschafter der Rau Interim GmbH mit Sitz in Warburg. Damit ist er der erste Interim Management Provider im deutschsprachigen Raum, der sich ausschließlich auf die Lebensmittelindustrie konzentriert. 

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